Rote Waldameise: Zuckermäuler des Waldes

Rote Waldameisen leben in riesigen Völkern mit bis zu einer Million Individuen. Der Einfluss dieser Insekten auf das Ökosystem Wald ist gross: Sie verbessern die Bodenqualität, verbreiten Pflanzensamen und können Schädlinge im Zaum halten. Die Roten Waldameisen waren die ersten Insekten überhaupt, die geschützt wurden – alle Arten stehen heute noch unter strengem Schutz.

Artportrait der Roten Waldameise

Artname

Rote Waldameise (D), Fourmi des bois ou fourmis rousses  (F), Formica rossa dei boschi (I), Artengruppe Formica rufa (Lat.)
Gattung Waldameisen

Grösse

Arbeiterinnen 5 bis 10 mm, Königin 9 bis 12 mm
Lebensweise Staatengemeinschaft, eusozial
Vorkommen in der ganzen Schweiz
Koloniegrösse 100‘000 bis 1‘000‘000
Lebenserwartung Königinnen bis zu 20 Jahre, Männchen meist nur wenige Tage, Arbeiterinnen 1 bis 5 Jahre
Ernährung Allesfresser (hauptsächlich Insekten, Honigtau, Pflanzen, seltener auch Aas)
Lebensraum meistens im Wald, am Waldrand, in Waldweiden oder Hecken

 

Die Artengruppe der Roten Waldameise umfasst in der Schweiz sechs Arten. Sie kommen in der ganzen Schweiz vor. Allerdings wurden die Bestände nicht in allen Regionen gleich gut untersucht und es gibt Unterschiede in der Datenlage und effektiven Verbreitung der einzelnen Arten. Alle Roten Waldameisen sind streng geschützt.

Jede Ameise hat ihre Funktion

Rote Waldameisen leben in Nestern, sogenannten Ameisenhaufen. Die Haufen werden aus Fichten- und Tannennadeln gebaut und stehen häufig an besonnten Stellen, oft entlang von Hecken, Waldrändern und Waldstrassen. Die Völker der Roten Waldameisen können entweder nur eine Königin (monogyn) oder auch mehrere Königinnen haben (polygyn). Völker mit mehreren Königinnen schliessen sich oft zu Kolonien zusammen. Es herrscht ein reger Austausch zwischen den Nestern. 

Die Königinnen sind die einzigen Individuen des Volks, die sich fortpflanzen. Sie alleine sind also für den Nachwuchs besorgt. Die anderen weiblichen Ameisen sind Arbeiterinnen. Am Anfang ihres Lebens versorgen sie vor allem die Brut und halten das Nest sauber. Später sind sie vorwiegend für die Beschaffung von Nahrung und Material für den Nestbau zuständig. Die geflügelten männlichen Ameisen haben nur eine einzige Aufgabe: die Begattung junger Königinnen. Entsprechend kurz ist ihre Lebensdauer. 

Ameisen und ihre «Nutztiere»

Die Roten Waldameisen ernähren sich sehr vielfältig und richten sich dabei stark nach dem vorhandenen Angebot. Ein Grossteil ihrer Nahrung bildet jedoch Honigtau, ein Ausscheidungsprodukt von Blattläusen. Da sie davon nie genug haben können, pflegen Ameisenvölker ganze Blattlauskolonien. Teilweise dienen ihnen die Läuse auch direkt als Nahrung. Auch Zecken, Asseln, Spinnen oder Tausendfüssler gehören zum Speiseplan der Roten Waldameise. So regulieren die Völker in einem Umkreis von 100 Metern die Populationen verschiedenster Gliederfüssler. Ein einzelnes Volk frisst im Schnitt 500‘000 bis 2‘000‘000 Beutetiere, was einem Gewicht von einigen Kilogramm entspricht.

Ameisen verbessern die Bodenqualität

Durch die Aktivitäten der Roten Waldameisen wird der Boden mit Nährstoffen angereichert, gelockert und durchmischt. Gleichzeitig erhöht sich auch dessen Sauerstoffversorgung. Davon profitieren Mikroorganismen und Pilze, die wiederum zur Verfügbarkeit von Nährstoffen und einer verbesserten Bodenstruktur beitragen. 

Darüber hinaus unterstützt die Rote Waldameise Pflanzen bei der Verbreitung von Samen. Manche Arten wie das Schneeglöckchen oder der Gefleckte Aronstab haben sich auf ein Zusammenspiel mit Ameisen spezialisiert. Sie bilden an den Samen fetthaltige Anhängsel (Elaiosomen) als Nahrung für Ameisen. Während des Transports oder im Nest werden diese Anhängsel von den Samen getrennt. Die Samen bleiben liegen und können so in neuen Lebensräumen wachsen. 

Nicht zuletzt sind Ameisen eine wichtige Nahrungsgrundlage für verschiedene Arten: Larven des Ameisen-Sackkäfers ernähren sich beispielsweise von Eiern und Larven der Ameisen und auch Vögel wie der Grünspecht oder das Auerhuhn haben Rote Waldameisen auf ihrem Speiseplan. Der Schwarzspecht ist sogar auf Ameisen spezialisiert. 

Gegenüber Fressfeinden verteidigen sich die Waldameisen erfolgreich mit Ameisensäure, die sie aus einer Drüse im Hinterleib bis zu einem Meter weit spritzen können. Auch den Menschen juckt die Ameisensäure. Im Herbst und Winter sind die Ameisen nicht aktiv und entsprechend wehrlos. Der Schwarzspecht nutzt diesen Umstand und ernährt sich besonders in dieser Zeit von den Roten Waldameisen.

Bedeutung der Waldameise für die Natur

Würden Rote Waldameisen verschwinden, hätte dies vielfältige Auswirkungen. Dies einerseits im Zusammenhang mit dem ökologischen Gleichgewicht und dem Nahrungskreislauf im Wald, andererseits aber auch in direktem Bezug zum Menschen. So können Ameisen helfen, eine Massenvermehrung verschiedener Schädlingsarten zu verhindern. Wo Rote Waldameisen sind, hat es beispielsweise deutlich weniger Zecken. Ob dies mit der aktiven Jagd auf Zecken zusammenhängt oder mit dem veränderten Mikroklima rund um Ameisenhaufen, ist aber unklar. Auch Freunde des Waldhonigs profitieren von Roten Waldameisen. Der Honigtau der von Ameisen genutzten Blattlauskolonien dient auch Honigbienen als Nahrungsquelle. Bekommen sie viel davon, ist der Honigertrag spürbar grösser. 

Massnahmen für Rote Waldameisen

Der wahrscheinlich beste Weg, um die Populationen der Roten Waldameise zu stärken, ist der Erhalt und der richtige Umgang mit ihrem Lebensraum. Ähnlich wie das Auerhuhn schätzen Ameisenvölker störungsfreie, eher lichte Wälder mit einer ausgeprägten Krautschicht. Besonders wichtig sind auch Nadelbäume, die Material für den Nestbau liefern und gleichzeitig auch als Nahrung für die Blattlauskolonien dienen können. Wenn Bauvorhaben oder eine anderweitige Nutzung die Existenz eines Ameisenvolkes bedrohen, kann es in Einzelfällen eine gute Lösung sein, die Ameisenhaufen fachgerecht umzusiedeln. Da die Erfolgsrate aber lediglich bei 50 bis 60 Prozent liegt, sollte eine Umsiedlung nur als letzte Option in Betracht gezogen werden.

Gefährdungsstatus der Roten Waldameise

Die Wichtigkeit der Roten Waldameisen wurde früh erkannt. Schon seit 1966 stehen sie unter Schutz – als erstes Insekt überhaupt. Einen weiteren Rückgang des Bestandes konnte diese Massnahme jedoch nicht verhindern. Die Gründe für die Gefährdung der Ameisenbestände sind vielfältig: von der Zerstörung der Nesthaufen und dem Verlust geeigneter Lebensräume über Veränderungen im Nahrungsangebot bis hin zum Klimawandel.