Reh: Wachstumsbremse für Waldbäume

Das Reh wäre eigentlich kein klassischer Waldbewohner. Durch die intensive Nutzung des Offenlandes wurde es aber in den Wald zurückgedrängt. Rehe sind sehr wählerisch, was ihren Speiseplan betrifft. Dadurch haben sie einen starken Einfluss auf das Wachstum bestimmter Baumarten. Jene, an denen sie gerne knabbern, wachsen langsamer oder sterben teilweise gar ab. Das bietet anderen Baumarten die Chance, sich auszubreiten.

Artportrait des Rehs

Artname

Reh (D), Chevreuil (F), Capriolo (I), Capreolus capreolus (Lat.)
Familie Hirsche (Cervidae)

Grösse

Schulterhöhe von 65 bis 75 cm, Kopf bis Rumpflänge 95 bis 135 cm
Gewicht 15 bis 25 kg 
Nachwuchs meist zwei Kitze zwischen Mai und Juni 
Aktivitätsfenster dämmerungs- und nachtaktiv
Lebenserwartung 2 bis 3 Jahre
Ernährung herbivor (Wiederkäuer)
Lebensraum verschiedenste Lebensräume, bevorzugt strauchreiche Mischwälder mit umliegenden Feldern, kommt auch in alpinen Lebensräumen vor und gilt als Kulturfolger
Vorkommen häufig

 

Heute ist das Reh praktisch in der ganzen Schweiz anzutreffen. Das war aber nicht immer so. Wie viele andere Wildtiere wurde es bis ins 19. Jahrhundert intensiv bejagt und nahezu ausgerottet. In dieser Zeit stand auch der Lebensraum Wald stark unter Druck. Wie das Reh haben sich auch die Wälder in den letzten Jahrzehnten erholt. Rehe kommen dort vor, wo sie Nahrung finden: in Wäldern, bei Feldgehölzen oder in an Wälder grenzenden Wiesen. 

Rehe und Schäden an Bäumen

Rehe sind die kleinsten einheimischen Huftiere. Sie ernähren sich rein pflanzlich. Als Wiederkäuer mit vier Mägen kann das Reh auch verholzte Pflanzenteile verdauen. Neben Gräsern fressen Rehe hauptsächlich Triebe und Knospen junger Bäume und Sträucher. Durch ihren Appetit haben sie Einfluss auf das Wachstum von Bäumen und die Vielfalt der Baumarten. Besonders beliebt sind die Weisstannentriebe. Die sehr langsam wachsenden jungen Tannen bleiben über Jahre attraktive Nahrungsquellen. Ein starker oder wiederholter Verbiss kann das Wachstum der Weisstannen beeinträchtigen oder gar stoppen. In extremen Fällen kann ein Baum sogar absterben. Dies gilt aber meist nur für sehr kleine Bäume, sogenannte Keimlinge und Sämlinge. 

Auch das «Fegen», das Reiben der Geweihe an Gehölzen, kann die jungen Bäume schädigen. In der Welt der Rehe hat «Fegen» verschiedene Funktionen: Es dient der Markierung des Reviers, der Erhaltung der Rangordnung oder der Kommunikation mit Weibchen. Zudem gilt es auch als eine Art Scheinkampf, mit dem Aggressionen abgebaut werden. «Fegen» und Verbiss in Kombination können erhebliche Schäden am Jungwuchs nach sich ziehen – besonders wenn die Bestände der Rehe gross sind und wenig andere Nahrung vorhanden ist. Damit junge Bäume trotzdem wachsen können, müssen sie beispielweise mit engmaschigem Draht oder Kunststoffmanschetten vor Rehen geschützt werden. Zudem regulieren die Jagd oder Raubtiere wie der Luchs die Rehbestände in der Schweiz.

Rehe beeinflussen die Waldentwicklung

Dass Rehe verschiedene Eichen- und Ahornarten sowie Weisstannen besonders mögen, kann sich direkt auf die Struktur der Wälder auswirken: Arten, die selten verbissen werden oder widerstandsfähig sind, wie beispielsweise die Fichte oder die Buche, profitieren davon. Sie breiten sich entsprechend aus. Dies betrifft auch weitere Pflanzen. Rehe fördern beispielsweise Sauergräser und Farne, Himbeeren und Efeu unterdrücken sie eher. 

Das Reh beeinflusst die Biodiversität nicht nur durch sein Frassverhalten. Als Beutetier von Grossraubtieren, insbesondere dem Luchs, beeinflusst es auch deren Vorkommen. Seit sich die Rehbestände erholt haben und die Gämse sich verbreiten konnte, konnte auch der Luchs wieder in der Schweiz Fuss fassen.

Massnahmen für das Reh

Eine Reihe von Massnahmen hilft dabei, Unfälle mit Rehen zu vermeiden. Landwirte können ihre Felder beispielsweise vor dem Mähen zusammen mit Freiwilligen durchsuchen, damit Rehkitze nicht unter Mähmaschinen geraten. Hier helfen auch technologische Fortschritte: ISA-Wildretter, Geräte zur Ortung von Rehen durch ihre Körperwärme oder auch Drohnen. Durch die Zusammenarbeit von Landwirten, Jägern und Hochschulen sollen die zurzeit noch hohen Preise für solche technischen Lösungen künftig gesenkt werden. Trotz der Kosten lohnen sich die Einsätze aber schon heute. Zum Beispiel senken sie das Risiko von Vergiftungen bei Nutztieren. Verursacht werden diese durch die gärenden Fleischreste im Heu und Silofutter, welche den Nährboden für das Bakterium Clostridium botulinum bilden. Diese Bakterien synthetisieren ein hochwirksames Nervengift, das Botulinumtoxin.

Daneben gibt es auch einfache Mittel wie CDs, Aluminium oder reflektierende Plastikbänder, um Rehe von Feldern und Strassen fernzuhalten. Da sich die Tiere aber daran gewöhnen, sind präventive Massnahmen bloss eine Ergänzung zu anderen. Ein wirksames Mittel zum Schutz von Rehen sind Wildübergänge und Korridore über Strassen und Schienen. Sie helfen dabei, Unfälle zu vermeiden und Schäden für Tiere, Menschen und Fahrzeuge zu verhindern.

Gefährdungsstatus des Rehs

Glücklicherweise haben sich die Rehbestände in der Schweiz nach der Fast-Ausrottung wieder erholt. Heute sind sie so gross, dass jährlich über 40‘000 Rehe zum Abschuss freigegeben werden. Der Fortbestand dieser Tierart ist aktuell nicht bedroht. Trotzdem haben menschliche Aktivitäten oft einen negativen Einfluss auf Rehe: Im Jahr 2018 starben über 1600 Rehkitze durch Mähmaschinen, über 9000 durch den Autoverkehr sowie 600 auf den Schienen.